energate Interview mit Havard Nymoen
„Wir brauchen einen Markt für erneuerbare und dekarbonisierte Gase“
energate: Herr Nymoen, das Bundeswirtschaftsministerium gibt ein Bekenntnis zur Bedeutung gasförmiger Energieträger ab. Was bedeutet das jetzt für die Gaswirtschaft?
Nymoen: Für die Gaswirtschaft ist das zunächst mal ein großer Erfolg. Seit fast zehn Jahren, nämlich im Grunde seit dem Energiekonzept 2010, war es schon fast eine Doktrin, dass die Energiewende weitgehend auf erneuerbarem Strom, und zwar direkt genutztem erneuerbarem Strom, basieren soll. Das hörte sich dann in den zugrundeliegenden Studien alles sehr schlüssig an, war aber offenbar an der sehr komplexen Realität des Wärme- und des Mobilitätsmarktes und den Kundenbedürfnissen ein Stück weit vorbei gedacht. Jetzt gab es offenbar in der Politik in den vergangenen zwei Jahren einen Realitätscheck, der dann in den sehr guten Stakeholder-Prozess „Gas 2030“ mündete, mit dem von Ihnen beschriebenen Bekenntnis zur Zukunft gasförmiger Energieträger.
energate: Das Ministerium bezeichnete die Erkenntnisse des Dialogprozesses „Gas 2030“ als Zwischenergebnis. Welche Schritte müssen nun folgen?
Nymoen: Bekenntnisse allein sind für das kurzzeitige Wohlbefinden wunderbar, aber reichen natürlich nicht. Das wird aus dem Papier des Wirtschaftsministeriums, das ausdrücklich als „erste Bilanz“ überschrieben ist, ja auch mehr als deutlich. Dort sind im Grunde alle wichtigen Handlungsbedarfe und Empfehlungen aufgelistet. Ich sehe jetzt im Wesentlichen drei Dinge:
Erstens: Die Punkte sind weitgehend alle da, aber es fehlt eine Priorisierung. Aus unseren Diskussionen und Projekten mit unseren Kunden aus dem Wärmemarkt sowie den Automobilherstellern und Mobilitätsdienstleistern folgt vor allem eines: Es gibt keinen Markt für erneuerbare und dekarbonisierte Gase. Bezüglich der Mobilität heißt das, in Brüssel auf die Verankerung des Well-to-Wheel-Ansatzes hinzuwirken. Im Gebäudebereich sollte bereits im aktuell diskutierten Gebäudeenergiegesetz der Einsatz durch eine entsprechende Absenkung der Primärenergiefaktoren dieser Gase angerechnet werden können. Dazu gehört auch der Aufbau eines Zertifizierungs- und Nachweissystems.
Zweitens: Parallel hat das Kabinett ja jetzt auch das Klimapaket beschlossen. Die dort verankerte „Abwrackprämie“ könnte zum Beispiel bei entsprechender Ausgestaltung ebenfalls und sehr zeitnah ein exzellenter Anknüpfungspunkt sein, um anteilig Biomethan oder andere CO2-freie beziehungsweise neutrale Gase einzubinden. Jedenfalls wird es wichtig sein, bei der Umsetzung mit den Empfehlungen des Dialogprozesses ein konsistentes System zu bilden. Das wäre dann auch ein erster Prüfstein, wie ernst die Empfehlungen des Gasdialogs tatsächlich genommen werden.
Und Drittens: Die Branche muss jetzt auch den Ball aufnehmen und sich „H2-ready“ aufstellen. Sowohl technisch als auch mit Geschäftsmodellen und Produkten. Der Ball liegt vielleicht noch nicht auf dem Elfmeterpunkt, aber zumindest schon in Strafraumnähe.
energate: Ab 2030 soll Wasserstoff zunehmend an Bedeutung gewinnen. Wie kann der Markthochlauf von Wasserstofftechnologien gelingen?
Nymoen: Diese Frage ist ja unmittelbar mit der vorherigen Frage verknüpft. Im Augenblick hat die Förderung über Reallabore Konjunktur. Als reine Capex-Förderung wird das aber nicht ausreichen. Dazu hofft die Politik auf die Wirkungen der CO2-Bepreisung im Gebäude- und Mobilitätsbereich. Auch hier sind sich alle einig, dass das als Systemwechsel ein großer Schritt ist, dass die unmittelbaren Effekte aber sehr überschaubar sein werden. Es braucht also unbedingt zusätzlich den oben beschriebenen Markt. Und um das kurzfristig zu unterstützen, glauben wir, dass eine Quote für erneuerbare und dekarbonisierte Gase sinnvoll wäre, aber nicht als Beimischquote, sondern als bilanzielle Quote mit handelbaren Zertifikaten. Dieser Dreiklang aus CO2-Preis, Markt und Quote muss nun zügig und zugleich sorgfältig orchestriert werden.
Die Fragen stellte energate-Chefredakteur Christian Seelos.
Der Artikel erschien im ener|gate messenger am 15. Oktober 2019.