Rechtsrahmen für eine sichere Versorgung mit Erdgas

Die aktuelle geopolitische Lage stellt die deutsche und europäische Gaswirtschaft vor neue, große Herausforderungen. Im engen Kontakt mit den Behörden setzen die FNB alles daran, auch bei möglichen Lieferausfällen jederzeit eine stabile Versorgung sicherzustellen.

Gesetzliche Grundlage für die Sicherung der Gasversorgung im Krisenfall ist die im Jahr 2017 novellierte europäische Verordnung über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung (EU) 2017/1938 (SoS-Verordnung), für die aktuell eine weitere Novellierung debattiert wird.

National sind die Vorgaben der SoS-Verordnung umgesetzt im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG), im Gesetz zur Sicherung der Energieversorgung (Energiesicherungsgesetz 1975 – EnSiG) und in der Verordnung zur Sicherung der Gasversorgung in einer Versorgungskrise (Gassicherungsverordnung – GasSV).  Im Zuge der EnWG-Novelle trat zudem am 1. Mai 2022 das „Gasspeichergesetz“ in Kraft.

Die einzelnen Regelungen im Detail:

Die SoS-Verordnung dient der Stärkung des Erdgasbinnenmarktes und der Vorsorge für den Fall einer Versorgungskrise. Sie definiert Zuständigkeiten sowie Pflichten von Unternehmen, nationalen Behörden und der EU-Kommission. Sie sieht einen umfassenden Maßnahmenkatalog und die nationale Implementierung eines dreistufigen Eskalationssystems (Frühwarn-, Alarm- und Notfallstufe) für den Fall einer Versorgungskrise vor. Darüber hinaus werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, im Rahmen von Präventions- und Notfallplänen das vorgesehene Krisenmanagement einschließlich präventiver Maßnahmen vorab festzulegen. Die Präventions- und Notfallpläne werden alle vier Jahre vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klima in Zusammenarbeit mit der Gaswirtschaft und der Bundesnetzagentur erstellt. 

Mit der Novelle der SoS-Verordnung im Jahr 2017 wurden drei zusätzliche Säulen eingeführt, welche die Gasversorgungssicherheit vor allem im Hinblick auf den europäischen Gasmarkt weiter erhöhen sollen. Diese sind die regionale Kooperation bei gemeinsamen Risiken, die Stärkung der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten im Krisenfall sowie eine größere Transparenz durch Bereitstellung von zusätzlichen Informationen.

Regionale Kooperationen: Ein zentrales Element der SoS-Verordnung ist die Stärkung der risikobezogenen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten. Hierzu werden wichtige grenzüberschreitende Risiken für die Sicherheit der Erdgasversorgung in der Europäischen Union (EU) identifiziert und auf dieser Grundlage Risikogruppen festgelegt. Die Risikoszenarien innerhalb der Gruppen orientieren sich dabei im Wesentlichen an den für die Erdgasversorgung der EU relevanten Hauptversorgungsrouten. Die Risikogruppen dienen als Grundlage einer verstärkten regionalen Zusammenarbeit zur Erhöhung der Sicherheit der Erdgasversorgung und ermöglichen die Vereinbarung geeigneter und wirksamer grenzüberschreitender Maßnahmen zwischen allen betroffenen Mitgliedstaaten innerhalb und außerhalb der Risikogruppen entlang der Versorgungskorridore.

Solidaritätsmechanismus zwischen den angrenzenden Mitgliedstaaten: Ein weiteres zentrales Element der SoS-Verordnung ist das Prinzip der Solidarität, nach welchem die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, solidarische Maßnahmen zu ergreifen, um in Krisensituationen die Versorgung von schutzbedürftigen Kunden z.B. Haushaltskunden in unmittelbar angrenzenden Mitgliedstaaten sicherzustellen. Deutschland kommt durch acht unmittelbar angrenzende Mitgliedstaaten und durch das über die Schweiz mittelbar angebundene Italien eine besondere Verantwortung zu.

Die SoS-Verordnung sieht die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten als letztes Mittel zur Aufrechterhaltung der Gasversorgung vor. Mitgliedstaaten sind nur dann zur Unterstützung verpflichtet, wenn in dem um Solidarität anfragenden Mitgliedstaat bereits sämtliche verfügbaren Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Versorgung von schutzbedürftigen Kunden durchgeführt wurden.

Sobald eine Solidaritätsanfrage an die verbundenen Mitgliedstaaten gerichtet wird, sind diese zunächst dazu verpflichtet, auf marktbasierte Weise die Bereitstellung von zusätzlichen Gasmengen anzubieten. Dazu müssen die angefragten Mitgliedstaaten in ihren eigenen Märkten freiwillige Angebote von den Marktteilnehmern abfragen und diese in aggregierter Form an den in Not geratenen Mitgliedstaat weiterreichen.

Sofern die marktbasierten Angebote nicht ausreichen, können zusätzlich nicht-marktbasierte Solidaritätsmaßnahmen angefragt werden. Erst in dieser zweiten Stufe sind die angefragten Mitgliedstaaten verpflichtet, die Versorgung von nicht durch Solidarität geschützten Kunden im eigenen Land einzuschränken, um die freiwerdenden Gasmengen solidarisch dem in Not geratenen Mitgliedstaat anzubieten.

Die konkrete vertragliche und operative Abwicklung von Solidaritätsmaßnahmen wird unter den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten in zwischenstaatlichen Vereinbarungen geregelt und festgehalten.

Die am 19.12.2022 final verabschiedete Verordnung (EU) 2022/2576 stellt eine gezielte Ergänzung zur bestehenden SoS-Verordnung (EU) 2017/1938 dar. Sie fördert mehr Solidarität durch eine bessere Koordinierung der Gasbeschaffung. Den grenzüberschreitenden Austausch von Gas und zuverlässige Preis-Referenzwerte ergänzt die Verordnung um allgemeingültige Regeln für Solidaritätsfälle. Darüber hinaus wurde mit der Verordnung der europäische Gaspreisdeckel eingeführt.

Der Notfallplan Gas für die Bundesrepublik Deutschland ist die nationale Umsetzung der SoS-Verordnung. Er beinhaltet drei Eskalationsstufen.

  1. Frühwarnstufe: Die Frühwarnstufe ist die erste Stufe des dreistufigen Notfallplans Gas. Dabei beruft das BMWK einen aus Behörden und Energieversorgern bestehenden Krisenstab ein.  Gasversorger und Betreiber der Gasleitungen sind zur regelmäßigen Einschätzung der Lage und Berichterstattung an die Bundesregierung verpflichtet. Die Sicherung der Gasversorgung erfolgt noch nicht durch Eingriff des Staats, sondern durch marktbasierte Mechanismen der Marktakteure (Gashändler und -lieferanten, Fernleitungs- und Verteilnetzbetreiber), wie etwa die Nutzung von Flexibilitäten auf der Beschaffungsseite, den Rückgriff auf Gasspeicher, die Optimierung von Lastflüssen oder die Anforderung externer Regelenergie.
  1. Alarmstufe: Bei der zweiten Stufe des Notfallplans Gas greift der Staat noch immer nicht in das Marktgeschehen ein. Die Sicherung der Versorgung liegt weiterhin in den Händen der Marktakteure, denen dafür die gleichen Instrumente wie in der ersten Stufe zur Verfügung stehen.
  1. Notfallstufe: Wenn die marktbasierten Instrumente aus den ersten beiden Stufen des Notfallplans nicht zu einer Stabilisierung der Versorgungslage führen, d.h. eine „außergewöhnlich hohe Nachfrage nach Gas, eine erhebliche Störung der Gasversorgung oder eine andere erhebliche Verschlechterung der Versorgungslage“ vorliegt, kann die Regierung per Verordnung die Notfallstufe ausrufen. Dabei wird die Bundesnetzagentur zum „Bundeslastverteiler“. Der Staat greift in enger Abstimmung mit den Netzbetreibern direkt in die Gasverteilung ein.

Bestimmte Verbrauchergruppen genießen gem. Art. 53a EnWG besonderen gesetzlichen Schutz. Dazu gehören Haushalte, soziale Einrichtungen (z.B. Krankenhäuser) und Gaskraftwerke, die zugleich auch der Wärmeversorgung von Haushalten dienen. Für diese muss eine sichere Versorgung mit Gas bis zuletzt gewährleistet sein.

Am 24. Juni 2022 ist die Verordnung (EU) 2022/1032 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnungen (EU) 2017/1938 und (EG) Nr. 715/2009 im Hinblick auf die Gasspeicherung in Kraft getreten. Ziel dieser Verordnung ist die Sicherstellung der Befüllung der europäischen Gasspeicher vor dem Winter, sodass sie von den EU-Mitgliedstaaten im Geiste der Solidarität gemeinsam genutzt werden können. Mit dem Inkrafttreten der Verordnung ist jeder Mitgliedstaat verpflichtet, vor dem Winter ausreichend Gas zu speichern. Zudem wird die Weitergabe von Gas zwischen einzelnen Ländern erleichtert.

In der Verordnung werden die Füllstandsvorgaben für den Winter definiert.  So müssen die Gasspeicher der Mitgliedstaaten vor dem Winter 2022/2023 zu 80 % und vor Beginn der folgenden Winter zu 90 % gefüllt werden. Die EU strebt an, im Jahr 2022 gemeinsam einen Füllstand von 85 % der gesamten EU-weiten unterirdischen Gasspeicherkapazität zu erreichen.

Das am 1. Mai 2022 in Kraft getretene „Gasspeichergesetz“ (§ 35 a-g EnWG) regelt die Verantwortlichkeiten, Maßnahmen und Instrumente mit Blick auf die Gas-Versorgungssicherheit grundlegend neu. Der Marktgebietsverantwortliche THE, eine Tochtergesellschaft aller Fernleitungsnetzbetreiber in Deutschland, übernimmt danach zusätzliche Aufgaben im Zusammenhang mit der Versorgungssicherheit und bekommt neue Instrumente an die Hand, um die Versorgungssicherheit im Winterhalbjahr zu gewährleisten. Das Gesetz sieht Mindestspeicherfüllstände zu bestimmten Stichtagen vor. Die Verantwortung zur Erreichung der vorgesehenen Füllstände liegt primär bei den Marktakteuren und ist von den Speicherbetreibern zu überwachen und zu melden. Bei Nichterfüllung der Vorgaben kann THE, im Einklang mit den Vorgaben des EnWG und mit Zustimmung des BMWK, ergänzende Maßnahmen ergreifen, um die gesetzlich festgelegten Füllstände zu erreichen.

Am 18. Januar 2024 hat der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Änderung der Vorschriften des Energiewirtschaftsgesetzes zu Füllstandsvorgaben für Gasspeicheranlagen und zur Anpassung weiterer energiewirtschaftlicher Vorschriften beschlossen und somit die gesetzlich festgelegten Füllstände aus dem „Gasspeichergesetz“ angepasst. Gemäß § 35b EnWG gelten ab 1. April 2025 mithin folgende stichtagsbezogene Füllstandsvorgaben:

  • 1. Oktober => 80%
  • 1. November => 90%
  • 1. Februar => 30%

Das Verfahren ist dabei mehrstufig aufgebaut. Zunächst erfolgt die Speicherbefüllung primär marktbasiert, ergänzt durch eine erste Ausschreibung des neuen Instruments der „Strategic Storage Based Options“ (SSBO). Wenn absehbar ist, dass Mindestfüllstände nicht erreicht werden, greifen zusätzliche Instrumente. Im letzten Schritt kann THE selbst physisches Gas erwerben und einspeichern.

Stufe 1: Die Befüllung der Speicher erfolgt durch die Marktteilnehmer. Zusätzlich kann THE im Frühjahr SSBO (markbasiertes Produkt) ausschreiben. So soll eine Sockelvorsorge etabliert werden. An den Ausschreibungen für SSBO können nur präqualifizierte Anbieter teilnehmen Die ersten SSBO-Ausschreibungen wurden am 4. Mai 2022 veröffentlicht.

Stufe 2: THE führt zusätzliche SSBO-Sonderausschreibungen durch, sofern beim kontinuierlichen Speichermonitoring festgestellt wird, dass die Einspeicherungen im Hinblick auf die Mindestfüllstandsvorgaben zum jeweiligen Stichtag nicht ausreichend erfolgen.

Stufe 3: Sollten die Gasspeicher weiterhin nicht ausreichend gefüllt sein, kann THE selbst physisches Gas erwerben und einspeichern. Diese Stufen stellen keine starr zu befolgende Maßnahmenkaskade dar, sondern sind ggf. auch miteinander zu kombinieren. Sofern Speichernutzer gebuchte Speicherkapazitäten nicht nutzen können und absehbar ist, dass dadurch die im Gesetz vorgesehenen Speicherfüllstände nicht erreicht werden können, greift ein weiteres neues Instrument: Diese Kapazitäten werden der THE zur Verfügung gestellt (so genanntes „use-it-or-lose-it“-Prinzip). THE schreibt in diesem Falle entweder SSBO aus oder kauft selbst Gas.

Die Kosten (für Ausschreibungen und Kauf durch THE) werden auf die Netznutzer umgelegt. Gleiches gilt – sofern Erlöse erzielt werden – auch für Erlöse. THE wird dazu eine neue Umlage festlegen, veröffentlichen und abrechnen. Die Umlage wird Bilanzkreisverantwortlichen im Marktgebiet in Rechnung gestellt.

Das Gesetz war bis zum 1. April 2025 befristet. Eine mögliche Nachfolgeregelung im Rahmen des EnWG wird aktuell diskutiert.

Eine Novelle des Energiesicherungsgesetzes (EnSiG 2.0) wurde am 12. Mai 2022 vom Deutschen Bundestag beschlossen. Am 22. Mai trat das Gesetz in Kraft. Im Oktober 2022 trat die zweite Novelle, das EnSiG 3.0, in Kraft.

Mit dem Inkrafttreten des EnSiG 4.0 am 1. Dezember 2022 hat der Gesetzgeber die Krisenvorsorge und Handlungsoptionen im Energiebereich deutlich erweitert. Die jüngste Novelle des Energiesicherungsgesetzes stärkt insbesondere die Möglichkeiten des Bundes, frühzeitig auf drohende Versorgungsengpässe zu reagieren.

Neu ist die verbindliche Beteiligung des Bundestages bei der Feststellung einer unmittelbaren Gefährdung oder Störung der Energieversorgung durch die Bundesregierung (§ 3 Abs. 3a EnSiG). Zudem präzisiert das Gesetz die Voraussetzungen für Enteignungen beweglicher Sachen wie Pipelines, Dokumente und Daten, die für die Errichtung von Erdgasleitungen benötigt werden (§ 23a Abs. 1 EnSiG).

Das EnSiG 4.0 schafft die Grundlage für präventive Maßnahmen bereits vor dem Eintritt einer akuten Energiekrise. So können Betreiber kritischer Infrastrukturen unter Treuhandverwaltung gestellt oder im äußersten Fall enteignet werden, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Auch die europäischen Solidaritätsmechanismen werden weiter gestärkt.

Begleitend wurden Anpassungen im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) vorgenommen: Stilllegungen von Gasspeicheranlagen müssen künftig angezeigt und genehmigt werden.

Ein zentrales neues Instrument ist die digitale Plattform für Erdgas. Sie ermöglicht der Bundesnetzagentur, im Falle einer Gasmangellage die Verteilung von Gas nach volkswirtschaftlichen und politischen Kriterien zu steuern. Aufbau und Betrieb der Plattform übernimmt Trading Hub Europe (THE).

Mit der Novelle schafft die Bundesregierung ein robustes rechtliches Fundament für eine sichere Energieversorgung in Krisenzeiten.

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